Der große Saal im Bürgerzentrum Ehrenfeld füllt sich an diesem Freitagabend. uSET hat zu dem Themenabend „Flucht und Rassismus“ eingeladen. Während Themen rund um Migration und die Situationen von Menschen mit Fluchtgeschichte in den letzten Monaten enorm von der Bildfläche verschwunden sind, jedoch hingegen nicht aus der Wirklichkeit von Menschen, die betroffen sind, beherrschen rechte Gewalt und Rassismusvorfälle immer wieder die Schlagzeilen. uSET lädt ein, um an diesem Abend Betroffenen sowie Unterstützer:innen eine Stimme zu geben und ins Gespräch mit Bürger:innen und Interessierten zu kommen.
Eingeleitet wurde der Abend von Ralf Berger. Er ist seit Jahren aktiv in der Arbeit mit geflüchteten Menschen, unter anderem im Allerweltshaus in Ehrenfeld und setzt sich im allgemeinen stark für das Thema Menschenrechte ein. Er reflektiert seine eigene Rolle an diesem Abend kritisch und betont zu Beginn seines Impulsvortrages, dass er eigentlich „der Falsche an dieser Stelle sei, da er selbst nicht von Flucht und kaum von Rassismus betroffen ist. Nichtsdestotrotz begegnet ihm im Zuge seines Engagements sowie im Alltag immer wieder Rassismus“ und macht somit auch ihn zum Betreffenden. In einem Schwenk durch die Geschichte wird deutlich, wird deutlich, dass Deutschland mittlerweile schon eine lange Geschichte als Einwanderungsland hat, auch wenn dies lange Zeit von Seiten der Politik nicht öffentlich eingeräumt wurde. Ebenso herrscht tief verankerter institutioneller Rassismus in Deutschland vor. Ralf Berger betont in seiner Rolle als jahrzehntelanger aktiver politischer Mensch, wie wichtig und notwendig in seinen Augen bürgerschaftliches Engagement ist.
Nach dem inhaltlichen und fachlichen Input und einer kurzen Pause betritt um 20 Uhr die Laientheatergruppe Ost.brise die Bühne. Die jungen Schauspieler:innen kommen aus Afghanistan, Iran, Irak und Syrien. Die szenischen Darstellungen, die die individuellen Fluchtgründe der jungen Erwachsenen beleuchten, gehen vielen Besucher:innen unter die Haut. Ein junger Mann, der aufgrund seiner Leidenschaft zu Breakdance und Hip Hop gefoltert und mit dem Tod bedroht wird. Eine homosexuelle Frau, die auf ihre Todesstrafe wartet. Es wird auch die Geschichte von Sahar Khodayari erzählt, die über den Iran hinaus 2019 für Aufsehen sorgte: Die fussballbegeisterte junge Frau verkleidet sich als Mann, um so Zutritt zum Stadion zu bekommen und ihren Lieblingsverein Esteghlal Teheran bejubeln zu können. Ihre Kostümierung fliegt auf, sie wird erwischt und kommt ins Gefängnis. Am Tag ihres Gerichtsverfahrens zündet sich die Frau an und erliegt wenig später ihren Verbrennungen. Einer der Schauspieler – ein junger Afghane – wendet sich direkt ans Publik und stellt den Zuschauer:innen die Frage, ob Afghanistan ein sicheres Herkunftsland sei. In der nächsten Szene nimmt er das Publikum mit in sein Afghanistan und es wird klar, dass die Antwort auf diese Frage nur ein klares Nein sein kann. Zwischen den einzelnen Szenen ist es bedrückend still im Saal.
Die Ost.brise unter Regiesseurin Marjan Garakani schafft es in nur einer Stunde aktuelle, tiefgreifende Konflikte auf individueller, gesellschaftlicher, religiöser und politischer Ebene, die zu Fluchtursachen wurden, darzustellen sowie ganz individuelle Fluchtgeschichten aufzuzeigen. Am Ende der Vorstellung steht die gesamte 15 köpfige Theatergruppe gemeinsam auf der Bühne des großen Saals und singt John Lennos Imagine – ein Teil davon im Original, ein anderer Teil wird auf persisch gerapt. Die Schauspieler:innen halten Schilder hoch, es wird deutlich wie heterogen die Gruppe ist und wie gut sie gemeinsam funktionieren: Auf der Bühne stehen Muslime, Christen, eine Jesidin, ein Atheist, ein Homosexueller, Feminist:innen und gemeinsam stehen sie für Gleichberechtigung und Frieden. Die unterschiedlichen Geschichten sowie die intimen und emotionalen Darbietungen ermöglichen im Hier und Jetzt das gemeinsame Erleben und Bestreben der Schauspieler:innen und Besucher:innen nach Frieden, Akzeptanz und Gleichberechtigung. Gänsehaut.
Nach tosendem Applaus für die Theatergruppe bietet sich den Zuschauer:innen nun die Möglichkeit ebenfalls aktiv werden. In einer Art Fotobox sind sie eingeladen ein oder mehrere Statements beispielsweise gegen Rassismus und/oder für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung zu setzen, Wünsche für die Zukunft zu teilen. Auch eine Stunde nach Ende des Theaterstücks ist der Saal noch belebt. Verschiedene Personengruppen haben sich zusammengefunden, es lassen sich Gesprächsfetzen zu verschiedenen Aspekten des Abendprogramms aufschnappen bis nach und nach alle Besucher:innen und Teilnehmer:innen mit vielleicht neuen oder auch schon bekannten Impulsen und Ideen in den Abend entlassen werden.
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